Gebäude 3.2

Alte Schule - Altes Rathaus - "Gemaa Backes"

Bäcker Karl Seibert - als Brezelbäcker unübertroffen 

Die Bäcker spielten früher im Dorf eine große Rolle. Obwohl die Einwohnerzahl Medenbachs im Jahr 1900 nur 396 Seelen betrug, gab es damals vier Bäcker. Am längsten wurde im Gmeinde-Backhaus („Gemaa Backes“) gebacken, Unterlagen über sein Alter gibt es leider nicht. In diesem war Jakob Best bis zu seinem Tode 1925 der Bäcker. Seine Frau Käthe führte die Bäckerei dann noch einige Zeit weiter.

Im Jahr 1928 übernahm Karl Seibert mit seiner Frau Frieda geb. Wex  die Bäckerei und betrieb sie bis 1958. Zu dieser Zeit gab es nur noch einen weiteren Bäcker in Medenbach, Ernst Esaias.

Manchen verwundert es, dass im „Gemaa-Backes“ ein Bäcker seinem Handwerk nachging, sind doch viele Gemeindebackhäuser freitags und samstags von den Bauern zum Backen ihrer Brote und Kuchen in Eigenregie betrieben worden. In Medenbach war dies nicht der Fall. Hinter der alten Schule war im Anbau die Backstube untergebracht.

Dort waltete Bäcker Karl Seibert, unterstützt von einem Bäckerburschen und seiner Ehefrau Frieda. Die Leute brachten ihr Mehl in Säcken zu ihm oder es wurde direkt von den Mühlen angeliefert.  

Die meisten Medenbacher waren Selbsterzeuger. Für einen Zentner Mehl erhielt der Bauer 33 Brote (Mischbrot). 15 Pf. Backlohn bekam der Bäcker je Brot. Erst später kamen Stadtleute und nach dem Krieg Flüchtlinge, die Ähren lasen und so etwas Mehl erhielten.

Jede Familie hatte bei Bäcker Seibert ihr eigenes Buch. Dort wurden die gelieferten Brote abgestrichen. Bäcker Esaias rechnete mit Brotmarken ab. Salz war rar in der Kriegs- und Nachkriegszeit, es musste geschrottelt werden. Zeitweise hatten die Brote keinen Geschmack, weil das Salz fehlte, erinnert sich Heinz Fischer.

Weizen- und Roggenmischbrot wurde gebacken, Weißbrot und in späteren Jahren auch Stückchen (Schnecken), mittwochs und samstags Brötchen („Gutsweck“). Schulmädchen und Buben trugen die Brötchen aus.

Einmal wöchentlich, immer freitags, zeitweise auch donnerstags, wurden Brezeln gebacken. Weithin bekannt und berühmt waren die Laugenbrezeln von Bäcker Seibert. Sie waren richtig knackig, bessere gab es nirgends. Mancher hätte gerne das Rezept erfahren, er gab es aber nicht preis. Die Brezeln wurden mit Hand gewalzt, zusammengelegt, geformt und lagen einige Zeit auf dem Holzschießer draußen in der frischen Luft, auch bei Winterwetter.
Dann wurden sie hereingeholt, in eine Lauge getaucht und mit der Bürste abgefrischt, so entstand der Glanz. Nach dem Backen waren sie dunkelbraun. Die Brezeln wurden tagelang nicht alt.

Die Leute brachten alle Backwaren zum Ausbacken zum Bäcker: Verschiedene Sorten Kuchen wie „Quetschekuche“, Apfelkuchen, Streuselkuchen, „Petzkuche“ (Butterkuchen) und  Weihnachtsgebäck: Buttergebäck, Spritzgebackenes, Nussgebäck, Lebkuchen. Die Frauen trugen die Backbleche mit einem Ring wie ein Kranz („Kitzel“) auf dem Kopf zum Bäcker. Samstags war großer Andrang.
Am Rande der Bleche wurden kleine Zettelchen mit den Namen angebracht, nach dem Ausbacken manchmal kaum noch lesbar.

Allein von der Bäckerei konnte man nicht leben. Karl Seibert  betrieb daher auch eine kleine Landwirtschaft. Die Grundstücke ließ er von Bauern mit dem Pferdefuhrwerk zackern. Er hatte auch Baumstücke und eine Kuh. Die große, breite „Scheck“, die alles Gute aus der Bäckerei zum Fressen bekam, führte Frau Seibert, eine stattliche Frau.

Eine Begebenheit aus der Kriegszeit lässt uns Bäcker Seibert als großzügigen und warmherzigen Menschen in Erinnerung bleiben:
Rudi Krämer, 1935 geboren, sollte 1941 in die Schule kommen. Familie Krämer vom Bahnhof Auringen–Medenbach ließ ihre Backwaren von Bäcker Seibert herstellen. Er bediente Frau Krämer nicht kleinlich, gab schon mal etwas dazu. Für die Einschulung wurde traditionsgemäß eine Brezel benötigt. Lebensmittelmarken waren aber nur noch für 800 Gramm Mehl vorhanden. Frau Krämer bat den Bäcker, eine entsprechende Brezel zu backen. Seibert: „Das gibt aber eine kleine Brezel.“ Lotte Krämer: „Machen Sie sich keine Gedanken, machen Sie die Brezel ruhig dünner.“

Am Einschulungstag wollte sie die bestellte Brezel abholen. Bäcker Seibert kam aus der Backstube - sicher auch in Gedanken an Rudis drei hungrige Brüder - mit einer Riesenbrezel nach vorn: „Der Teig ist mir halt etwas mehr aufgegangen. Zudem habe ich von vielen Bauern Mehl hier, da werden deren Backwaren halt etwas kleiner ausfallen. Ich habe den Mut dazu, aus 800 Gramm eine große Brezel zu backen.“